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Die Renaissance, also in etwa der Zeitraum vom Ende des 14ten Jahrhunderts bis zum Anfang des 17ten Jahrhunderts, ist die erste Epoche, aus der sich bis zur Gegenwart noch rekonstruierbare Tänze erhalten haben. Die beste Quellenlage haben wir für das Gebiet des heutigen Italien, in dem die Umbrüche der Renaissance ihren Ursprung nahmen. In der Renaissance rückt der Mensch als Individuum in den Mittelpunkt und der Tanzmeister gewinnt mit seiner Kunst an Selbstbewusstsein, das er in seinen Traktaten zum Ausdruck bringt. Auch aus einigen anderen Ländern sind uns Quellen erhalten, aber mit Ausnahme einiger Bücher aus dem Gebiet des heutigen Frankreichs enthalten sie meist zu wenig Informationen für eine unabhängige Rekonstruktion.

Italien im Quattrocento (15tes Jahrhundert)

Das erste erhaltene umfangreiche Traktat zum Gesellschaftstanz „De arte saltandi et choreas ducendi“ (Paris, Bibliothèque nationale, fonds ital. 972) stammt vermutlich aus der Zeit um 1452. Es enthält neben einer Rechtfertigung für die Tanzkunst und tanztheoretischen Überlegungen eine Reihe von Tanzbeschreibungen mit der dazugehörigen Musik.

Sein Verfasser Domenico da Piacenzas prägt zusammen mit seinen Schülern Antonio Cornazzano und Guglielmo Ebreo das, was wir heute in der Tanzrekonstruktion mit Quattrocento-Stil bezeichnen und dessen Quellen bis ca. 1520 reichen. Von den Autoren werden zunächst die Voraussetzungen ausformuliert, die ein Tänzer benötigt, um gut tanzen zu können. Das sind neben den notwendigen physischen Fähigkeiten eine Reihe mentaler Fähigkeiten wie ein gutes Zeitmaß, ein gutes Erinnerungsvermögen, ein gutes Raumgefühl, Variationsreichtum bei den Schritten und natürlich gute Manieren.

Es gibt im Italien der Zeit zwei verschiedene Arten von Tänzen – die edlen langsamen Bassadanza Tänze und die variantenreichen schnelleren Balli. Zum Aufführen verfügt man bereits über ein breites Spektrum an Schritten und Musik in verschiedenen Zeitmaßen. Die Schritte teilt man in „movimenti naturali“ (natürliche Bewegungen) und „movimenti accedentali“ (Verzierungsschritte – erworbene Bewegungen) auf. Leider ist ein Teil der Schritte nicht oder nur vage beschrieben, so dass heute diese Lücken durch Interpretationen (meist aus dem Schrittnamen) geschlossen werden müssen. Der Raum spielt für den Spannungsbogen der Tänze und der Tänzer untereinander bereits eine wichtige Rolle. Man nimmt an, dass es sich bei den erhalten Tänzen um Vorführtänze für ein umstehendes fachkundiges Publikum handelt.

Italien im Cinquecento (16tes Jahrhundert)

Für das Italien am Ende des 16ten Jahrhunderts, in der Zeit von ca. 1580 bis 1620, gibt es eine zweite Quellenhäufung eines neuen deutlich anspruchsvolleren Stils, den wir heute mit Cinquecento-Stil bezeichnen. Stilprägend für diese Epoche ist die virtuose Gaillarde, mit ihren kraftvoll gesprungen Schritten. Die beiden für uns wichtigsten Tanzbuchautoren sind Fabritio Caroso und Cesare Negri, die uns mehrere gedruckte und über Europa verbreitete Werke hinterlassen haben.

Gegenüber der früheren Zeit vervielfacht sich das Schrittrepertoire, die Traktate werden umfangreicher und systematischer. Sogar Übungen zur Verbesserung der Technik finden sich nun in den Werken.

Frankreich

Wenige Jahre vor die ersten erhaltenen italienischen Quellen, auf ca. 1445, lässt sich eine Art „Tanz-Spickzettel“ datieren. Er enthält die Notation (unglücklicherweise ohne Musik) einiger Schreittänze im Stil des Bassedanse und stammt aus Nancy, im Burgund des hier noch späten Mittelalters. Die Tänze bestehen aus einer komplex komponierten Abfolge, die sich aus einer Handvoll Schritten zusammensetzen und die mit Buchstaben notiert werden.

Entschlüsseln lässt sich dieser Notizzettel mit späteren Quellen, wie dem „Brüsseler Manuskript 9085“, oder dem ersten uns noch erhaltenen gebliebenen gedruckten Tanzbuch – Toulouzes „L'art et instruction de bien Dancer“ von 1488, die mit den gleichen Kürzeln arbeiten. Für diese Art von Tanz gibt es Quellen aus verschieden Ländern Europas. An den langsamen Schreittanz, den wir in Ermangelung von Raumwegbeschreibungen als linearen Tanz interpretieren, schließt sich damals ein dazugehöriger schneller Nachtanz an, für den sich leider keine Tanzbeschreibungen erhalten haben.

Eine der heute beliebtesten Quellen der Renaissance ist das vom damals 69jährigen Domherrn von Langres unter dem Pseudonym Arbeau veröffentlichte Buch „L'Orchésographie“ (1588/1589). In ihm beschreibt er nach einem Theorieteil in Form eines Dialogs retrospektiv Tänze aus seiner Jugend. Dazu nutzt er eine von ihm erfundene Notation, bei der er einem um 90 Grad gedrehten Notensystem Zeile für Zeile die Tanzbeschreibung anfügt.

Andere Länder

Auch aus anderen Ländern haben wir für die Zeit der Renaissance einige erhaltene Quellen, oft mit Verbindungen zu den Tänzen aus Frankreich oder Italien. Leider fehlen hier in der Regel die Beschreibungen, wie die aufgeführten Schritte auszuführen sind. Für Rekonstruktionsversuche bedient man sich daher oft bei anderen Quellen, um diese Lücken zu füllen.

Die erste erhaltene deutsche Tanzquelle findet sich beispielsweise in einem Brief, den Johannes Cochläus 1517 aus Bologna schreibt und der die Verwandten in Deutschland über die in Italien getanzten Tänze informieren will. Ansonsten treten deutsche Autoren meist leider in erster Linie in Form von gedruckten Predigten gegen den Tanz hervor.

Bei den Quellen anderer Länder noch besonders hervorzuheben ist sicherlich England. Ende des 20sten Jahrhunderts fand man ein Manuskript mit technisch eigenständigen Tänzen „John Banys’ Notebook“ (das Gresley Manuskript datiert um 1500). Es enthält Tänze mit dazugehöriger Musik, aber leider keine Ausführungsbeschreibung für die Schritte. Weitere wichtige englische Quellen sind die „Old Measures“, die Juristen und Studenten der „Inns of Court“ in London von der späten Renaissance bis ins Barock zwischen ca. 1570 und 1670 getanzt haben. Sie sind auch eine wichtige Verbindung zu den späteren Tanzsammlungen von John Playford mit englischen Landestänzen („country dances“), die er ab 1651 herausgeben hat.