Eine Besonderheit des historischen Tanzes ist, dass es sich hierbei um eine quellenbasierte rekonstruierende Tanzform handelt. Ein Tanz wie z.B. das Menuett kam aus der Mode, die Lehrtradition wurde unterbrochen, das Wissen wurde nicht mehr von Generation zu Generation weitergetragen. In der Regel gibt es auch keine Zeitzeugen mehr, die wir befragen könnten, um eine Tradierung wiederaufleben lassen zu können. Wir versuchen daher, aus erhaltenen alten Quellen eine vergessene Tanzform zu rekonstruieren und mit neuem Leben zu erfüllen. In den seltensten Fällen entstanden diese Quellen allerdings als Zeitkapseln, um in ferner Zukunft von einem entfernten Nachfahren rekonstruiert zu werden. In der Regel richten sie sich an die Zeitgenossen der Autoren und diese Zeitgenossen verfügten meist bereits über ein gewisses Vorwissen zu Technik und Choreographie, das dann nicht niedergeschrieben wurde. Daher ist es oft wie bei einem Puzzlespiel notwendig, mehrere Quellen zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen und Lücken zu füllen. Dabei ist es nicht immer das Ziel, eine komplette spezifische Choreographie zu rekonstruieren; mit einem intimen Verständnis von rekonstruierter Tanztechnik und choreographischen Eigenheiten ist es auch durchaus möglich und legitim neue Tänze in alten Stil zu erfinden. Im Laufe der Jahre hat sich in der Tanzpraxis des historischen Tanzes zum Teil eine neue Lehr- und Interpretationstradition entwickelt, die jedoch mit dem stetigen Forschungsfortschritt immer wieder überprüft werden muss. So geht Unterricht und Forschung im Idealfall Hand in Hand.
Eines meiner Forschungsinteressen ist, sich in einem belegorientierten Ansatz immer genauer der Technik und den Choreographien der jeweiligen Zeit zu nähern. Natürlich immer in dem Bewusstsein, dass wir nicht dabei waren und es letztlich immer nur eine informierte Näherung bleibt. Dabei ist auch der Prozess der Näherung über Generationen von Tanzforschern interessant. Während in den Anfangsjahren der Tanzforschung den Forscherinnen und Forschern meist nur einzelne Originale oder Abschriften zur Verfügung standen, verfügen wir heute über eine gute Infrastruktur. Insbesondere seit den 1970er Jahren sind eine Reihe von Faksimileausgaben entstanden, ab den 1990er setzte dann die Digitalisierung der Quellen und die Verfügbarkeit über das Internet ein. So haben wir heute Zugriff auf einen massiven Quellenbestand, der ohne verteilte professionelle Forschung nicht mehr zu bearbeiten ist. Leider fehlt es in Deutschland an einer breiten universitären Verankerung der historischen Tanzforschung, die den Zugriff auf die dazu notwendigen finanziellen Ressourcen ermöglichen würde.
Ein weiteres Forschungsinteresse ist die Erschließung neuer Choreographien für die Forschung und den praktischen Gebrauch. Trotz der massiven Verfügbarkeit von Quellen wandelt die Tanzpraxis oft auf einigen wenigen eingetrampelten Pfaden, die vielfach bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind. So findet sich zum Beispiel ein Großteil heute beliebter englischer Country Dances bereits in den Publikationen von Cecil Sharp (1859-1924). Neben einer fehlenden praktischen Aufbereitung ist oftmals eine fehlende passende Musikeinspielung ein Hemmnis. Auch hier setzt meine Arbeit ein – es entstehen praktische Ausgaben bisher unbearbeiteter Tänze mit der dazugehörigen Musik.
Meine aktuellen Projekte:
Hessen im Spiegel des Tanzes des 18. Jahrhunderts
Tanz im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen 1790-1833